Navigation: Mit Mathematik von A nach B
„In 50 Metern rechts abbiegen, dann links halten!“ – mit Anweisungen wie diesen lotsen moderne Navigationsgeräte tagtäglich Millionen Autofahrer durch die Straßen der Welt. Die handlichen Geräte machen Ortskenntnisse unnötig, niemand muss mehr Orientierungspunkte in der Landschaft identifizieren oder die Himmelsrichtung am Sonnenstand ablesen. Aus dem Zusammenspiel der hoch über den Wolken kreisenden Navigationssatelliten und der handlichen GPS-Empfänger auf der Erde erfährt jeder, wo er steht und wohin sein Weg führt. Was beim Autofahren schnell in Vergessenheit gerät: Damit die kleinen praktischen Helfer im Alltag funktionieren, bedarf es vielfältiger mathematischer Berechnungen. Deshalb eignet sich das Thema Navigation optimal für einen realitätsnahen Mathematikunterricht.
GPS, Galileo & Co.
Im Mai 2000 schaltete das US-amerikanische Verteidigungsministerium die absichtliche Signalverschlechterung seines Global Positioning Systems – kurz GPS – ab. Damit stand das bisher nur militärisch genutzte Satellitensystem erstmals der Zivilbevölkerung zur Verfügung. Der Boom der Navigationssysteme fürs Auto begann. Auf etwa zehn Meter genau konnte damals jeder stolze Navi-Besitzer seine Position auf der Erde bestimmen, heute sind die Angaben sogar noch exakter.
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GPS ist das bekannteste, aber nicht das einzige Satellitennavigationssystem. In Russland macht das Satellitensystem GLONASS den Amerikanern Konkurrenz, China versucht seit 2004, mit COMPASS die Abhängigkeit von GPS zu verringern.
Seit Oktober 2012 kreisen zudem vier europäische Navigationssatelliten um die Erde. Sie gehören zum Programm Galileo, dem einzigen nicht-militärischen der vier weltweiten Satellitennavigationssysteme. „Im Endausbau werden wir 30 Galileo-Satelliten im Orbit haben“, erklärt Walter Päffgen, Geschäftsführer des Galileo-Kontrollzentrums im bayerischen Oberpfaffenhofen. „In drei Umlaufbahnen werden dann je neun aktive und ein Ersatzsatellit um die Erde kreisen.“ Päffgen arbeitet schon seit der Planungsphase zur Jahrtausendwende im Galileo-Projekt mit. Trotzdem hat die Satellitennavigation für ihn nichts an Faszination eingebüßt: „Die Präzision ist einfach unglaublich – wenn man sich vorstellt, dass man mithilfe von Informationen aus weit entfernen Satelliten seine Position auf den Zentimeter genau bestimmen kann!“
Damit die Satelliten zuverlässig ihre Aufgabe erfüllen, sind sie randvoll mit hochsensibler Technik bepackt. „Zwölf Jahre lang sollen die Satelliten funktionieren. Das ist ein langer Zeitraum, zumal wir nach dem Start nicht mehr direkt an die Systeme herankommen. Auf der Erde gibt es nichts Vergleichbares“, betont Päffgen. Systempflege und Wartung werden komplett von den Kontrollstationen auf der Erde gestartet. Allein in Pfaffenhofen ist ein 70-köpfiges Team am Werk, um rund um die Uhr die bisherigen vier Galileo-Satelliten zu überwachen und dafür rund 20.000 Messwerte im Blick zu behalten – zum Beispiel Temperaturen, Speicherzustände, Drehzahlen und Spannungswerte. „Insbesondere die Atomuhren sind sehr empfindlich“, berichtet Päffgen. „Sie können nur in einem bestimmten Temperaturbereich ausreichend genau arbeiten.“
EinklappenKeine Satellitentechnik ohne Mathematik
Um den Betrieb der Galileo-Satelliten zu überwachen, arbeiten neben zahlreichen Ingenieuren auch mehrere Mathematiker im Galileo-Kontrollzentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Unsere Mathematiker führen die zum Teil sehr komplexen Berechnungen im dreidimensionalen Raum durch, etwa die Lagebestimmung und Lagekontrolle. Außerdem entwickeln sie Algorithmen für die Navigation“, erläutert Päffgen.
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Unter anderem kommen numerische Mathematik und sphärische Geometrie bei der Arbeit mit Satellitennavigation zum Einsatz – Bereiche, die normalerweise im schulischen Mathematikunterricht keine große Rolle spielen. Trotzdem lassen sich viele Prinzipien der Navigation auch in der Schule auf einfachere Weise veranschaulichen, zum Beispiel durch Berechnungen in der Ebene. Um die Grundfragen der Navigation und die Orientierung im Koordinatensystem der Erde zu verstehen, lohnt sich zudem ein Blick zurück in die Geschichte – in die Navigationsmethoden der großen Seefahrer.
Das Koordinatensystem der Welt
Tipp: Mehr Informationen und Übungen zur Bestimmung der Längen- und Breitengrade finden Sie auch im Abschnitt „Rückblick: So navigierten die großen Seefahrer“.
Schon seit den Zeiten der ersten Seefahrer orientieren sich die Menschen an dem Koordinatensystem, das die modernen Navigationssatelliten heute noch immer verwenden. Nur die Lage des Nullmeridians – des 0. Längengrads – war lange Zeit uneinheitlich. Erst 1884 auf der Internationalen Meridiankonferenz in Washington verständigten sich die Nationen auf den Verlauf des Nullmeridians bei der damaligen Sternwarte im Londoner Stadtteil Greenwich. Obwohl das Koordinatensystem seitdem weltweit einheitlich ist, gibt es für die Angabe von Geokoordinaten verschiedene gängige Schreibweisen, die zwischen Grad- und Dezimalangaben wechseln. So befindet sich zum Beispiel das Brandenburger Tor bei folgenden Koordinaten:
Breite | Länge | Format |
---|---|---|
52° 30’ 58,56’’ N | 13° 22’ 40,12’’ O | Grad, Minuten, Dezimalsekunden |
52° 30,976’ N | 13° 22,669’ O | Grad, Dezimalminuten |
52,516268° N | 13,377811° O | Dezimalgrad |
Unterrichtsanregung
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Bitten Sie Ihre Schüler mit einem GPS-Gerät oder mithilfe des Internets (zum Beispiel Google Earth) die Geokoordinaten ihrer Wohnungen zu ermitteln. Entwickeln Sie mit Ihren Schülerinnen und Schülern Rechenwege, um Gradangaben in Dezimalangaben umzurechnen.
Zum Vertiefen: Besteckrechnung
Wie lässt sich anhand von zwei Geo-Koordinaten berechnen, wie groß die Entfernung zwischen beiden Punkten ist?
Das Problem:
Während der Abstand zwischen den Breitenkreisen konstant ist,
hängt der Abstand zwischen den Längengraden davon ab, auf welcher
Breite man sich befindet: Am Äquator sind die Distanzen am größten,
zu den Polen hin werden sie immer kleiner. Seeleute nutzten für die
Berechnung von Entfernungen früher das so genannte nautische Besteck
– Zirkel, Dreieck, Seekarte. Davon abgeleitet nennt man die
Entfernungsberechnung zwischen zwei Koordinaten bis heute Besteckrechnung.
Einen Einstieg dazu können Sie zum Beispiel hier nachlesen:
http://www.astrosail.de/de/static/tutorial/best1.php?cat=42
Satellitennavigation und die Rolle der Uhrzeit
Hoch über den Wolken ziehen die Navigationssatelliten des Global Positioning Networks ihre Bahnen um die Erde, in 20.200 km Höhe oberhalb der Erdoberfläche. Noch einmal etwas höher, in 23.222 km, kreisen die ersten vier europäischen Galileo-Satelliten. Jedes System benötigt etwa 30 Satelliten, in regelmäßigen Abständen in drei verschiedenen Bahnen angeordnet, um Satellitenortung rund um die Uhr überall auf der Welt zu ermöglichen. Denn das ist nur machbar, wenn das Signal von mehreren Satelliten gleichzeitig empfangen werden kann. „Vier Satelliten sind das absolute Minimum, um eine Positionsbestimmung durchführen zu können“, erklärt Walter Päffgen von der DLR-Gesellschaft für Raumfahrtanwendungen, welche die Galileo-Satelliten steuert.
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Keine moderne Ortsbestimmung kommt ohne eine genaue Zeitmessung aus. Deshalb befinden sich an Bord der Satelliten Atomuhren, die die Zeit auf Sekundenbruchteile genau messen. Drei Angaben zur Positionsbestimmung senden die Satelliten in kurzen Intervallen aus: 1. ihre Identifikation, 2. ihre genaue Position und 3. die Uhrzeit, zu der das Positionssignal den Satelliten verlassen hat. Aus der Zeitdifferenz zwischen Sender und Empfänger lässt sich die Entfernung des Satelliten berechnen.
Empfängt ein Navigationsgerät das Signal nur eines Satelliten, dann sagt dies sehr wenig über die genaue Position des Empfängers aus: Die möglichen Orte, an denen er sich befinden kann, bilden eine Kugel um den Satelliten. Befindet er sich gleichzeitig auf der Erdoberfläche, dann kommen alle Schnittpunkte zwischen Erdoberfläche und der Kugel um den Satelliten in Frage – ein Kreis. Das Signal eines zweiten Satelliten grenzt die Lokalisierung weiter ein: Befindet sich der Empfänger auf der Erdoberfläche, reduziert sich die Anzahl der möglichen Positionen auf maximal zwei – die Schnittpunkte der beiden „Kreise“, auf denen jeweils das Signal der einzelnen Satelliten empfangbar ist. Mit dem Signal eines dritten Satelliten schließlich lässt sich eine eindeutige Position auf der Erdoberfläche bestimmen. Noch genauere Informationen liefert ein viertes Satellitensignal: Es ermöglicht eine Positionsbestimmung im dreidimensionalen Raum, also auch unabhängig von der Erdoberfläche.
Im Fachjargon heißt die Positionsbestimmung anhand von Satellitensignalen „Trilateration“. Um die speziellen Problemstellungen der sphärischen Geometrie zu umgehen und dennoch das Prinzip der Satellitenortung im Unterricht zu untersuchen, bietet es sich an, die Berechnungen im zweidimensionalen Raum durchzuführen, indem das Koordinatensystem der Erde als Ebene betrachtet wird.
EinklappenUnterrichtsanregung
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Zwei Satelliten kreisen in Höhe von 20.200 km über der Erdoberfläche.
Entfernung zum
GPS-Empfänger auf der Erdoberfläche:
Satellit 1: 22.000 km entfernt über den Koordinaten 37° N und 100° O
Satellit 2: 21.000 km entfernt über den Koordinaten 15° N und 70° O
Folgende Fragen könnten im Mathematikunterricht besprochen werden:
- Wie lässt sich die Erdoberfläche als zweidimensionales Koordinatensystem darstellen? Welche Schreibweise der Geo-Koordinaten eignet sich am besten für die Rechnung?
- Wo in dem Koordinatensystem liegen die Kreise, auf denen sich GPS-Empfänger befinden können, die jeweils nur das Signal eines der beiden Satelliten empfangen? Wie groß ist der Radius dieser Kreise?
- Wo liegen die Schnittpunkte der zwei Kreise?
- Überlegung: Lassen sich die Ergebnisse auf die (runde) Erde übertragen?
- Angenommen, die Erde wäre eine perfekte Kugel mit einem Radius von 6.360 km, wie weit kann ein Satellit maximal vom Empfänger auf der Erdoberfläche entfernt sein? (Zur Erinnerung: Die Umlaufbahn der Satelliten liegt in 20.200 km Höhe).
Wenn die Uhren falsch gehen
Theoretisch müssten drei Satellitensignale ausreichen, um eine eindeutige Position im dreidimensionalen Raum zu bestimmen. In der Praxis reicht das aber nicht aus. „Das Problem besteht darin, dass der Empfänger nicht über eine synchronisierte Atomuhr verfügt. Deshalb braucht man Informationen von einem vierten Satelliten. Aus mathematischer Sicht ein Gleichungssystem mit vier Unbekannten: x, y, z und t“, erläutert Päffgen.
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Anders gesagt: Wenn die Uhrzeit im Empfängergerät auch nur minimal von der tatsächlichen Zeit abweicht, werden die Entfernungen zu den Satelliten falsch berechnet. In der Folge kann die Positionsbestimmung erheblich vom tatsächlichen Ort abweichen. „Eine Abweichung von einer Nanosekunde, also einer milliardstel Sekunde, bedeutet schon einen Fehler von 30 Zentimetern.“
Als „Pseudostrecke“ bzw. „Pseudorange“ bezeichnet die GPS-Technologie die falsch gemessenen Entfernungen, die aufgrund von Uhrenfehlern im Empfängergerät entstehen. Da aber der Uhrenfehler konstant ist – beispielsweise eine Abweichung von zwei Sekunden im Vergleich zu den Atomuhren an Bord der Satelliten –, lässt sich bei vier Satellitensignalen dennoch der genaue Standort ermitteln. Betrachtet man die Erdoberfläche wiederum als Ebene, reichen für die Uhrenkorrektur drei Satellitensignale.
Die Abweichung wird sichtbar, wenn sich die möglichen Standorte des Empfängergeräts nicht in einem Punkt schneiden, sondern eine größere Schnittfläche der drei Kreise entsteht. Die Uhrzeit im GPS-Empfänger wird anschließend so justiert, dass die GPS-Signale auf einen einzigen Punkt hindeuten – den Mittelpunkt des Inkreises innerhalb der Schnittfläche der drei Kreise.
EinklappenUnterrichtsanregung
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Auch zur Veranschaulichung der Pseudoranges bietet es sich an,
im zweidimensionalen Raum zu arbeiten. Wiederum kommen die beiden
bereits genannten Satelliten zum Einsatz. Ihre tatsächliche Entfernung
zum GPS-Empfänger auf der Erdoberfläche:
Satellit 1: 22.000 km entfernt über den Koordinaten 37° N und 100° O
Satellit 2: 21.000 km entfernt über den Koordinaten 15° N und 70° O
- Wie lange braucht das Signal der beiden Satelliten bis zum Empfängergerät? (Zur Erinnerung: Die Lichtgeschwindigkeit beträgt 299.792.458 m/s.)
- Angenommen, die Uhr im Empfängergerät geht im Vergleich zu den Atomuhren der Satelliten um eine Sekunde nach, um wie viel zu lang oder kurz würde dann die Entfernung zu den Satelliten erscheinen?
- Wie würden sich der Radius der beiden Kreise und die Lage ihrer Schnittpunkte dadurch ändern?
Spurenlesen im GPS-Zeitalter
In vielen Haushalten ist GPS-Technologie vor allem im Auto-Navigationsgerät zu finden. Weniger verbreitet sind die handlichen GPS-Empfänger, die zum Beispiel Bergsportler oder Freizeitradler verwenden. Für den Mathematikunterricht bieten sie aber einen entscheidenden Vorteil: Sie geben nicht nur den Weg zu einem Ziel vor, sondern können unterwegs zudem den gesamten Streckenverlauf, die so genannten Tracking-Daten, speichern. Auf diese Weise ermöglichen sie zum Beispiel Wanderern, auch in nicht kartierten Gegenden ihren Rückweg zu finden. Alternativ zum GPS-Gerät können ebenfalls viele Smartphones Tracking-Daten aufzeichnen, nachdem eine entsprechende App installiert wurde. Tracking-Dateien haben die Endung .gpx und können zum Beispiel im Internet unter http://www.gpsvisualizer.com ausgelesen oder auf einer Karte veranschaulicht werden.
Zahlreiche Ideen für den Einsatz von GPS-Tracking-Daten im Mathematikunterricht – zum Beispiel das Vermessen des eigenen Schulhofs mit der Gaußschen Schuhbandformel – bietet die Arbeitsblätter-Sammlung von Wolfgang Riemer im Internet (http://www.riemer-koeln.de).
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Orientierung ohne Geo-Koordinaten: Drehfunkfeuer
Die Einteilung der Welt in Koordinaten und das Hantieren mit GPS-Geräten sind heute so alltäglich, dass viele andere Methoden zur Positionsbestimmung gar nicht mehr konkurrenzfähig erscheinen. Aber es gibt sie – und sie werden tagtäglich genutzt. Zum Beispiel das klassische Drehfunkfeuer, das auch heute noch Flugzeugpiloten Auskunft über ihre Position gibt.
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Drehfunkfeuer – das geläufigste Verfahren trägt den Namen VOR für „VHF Omnidirectional Radio Range“ – senden ein UKW-Signal aus, das dem Flugzeug mitteilt, in wie viel Grad es sich im Vergleich zum VOR befindet. 0° gibt dabei die magnetische Nordrichtung vor. Aus Sicht der Trigonometrie interessanter wird es, wenn ein Flugzeug im Bereich mehrerer VORs fliegt. Allein in Deutschland stehen insgesamt 61 dieser Drehfunkfeuer, ihre Positionen sind den Flugzeugen bekannt. Erhalten die Flugzeuge Signale von mehr als einem VOR, können sie eine Kreuzpeilung vornehmen und so ihre Position ermitteln.
EinklappenUnterrichtsanregung
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Ein Flugzeug fliegt im Bereich der beiden VORs
„Bremen“ (53° 20’ 47’’ N, 8° 45’ 38’’ O)
und
„Weser“ (53° 20’ 52’’ N, 8° 52’ 31’’ O). „Bremen“ liegt aus Sicht
des Flugzeugs auf 260°,
„Weser“ auf 350°.
- Zeichnen Sie mit Ihren Schülern die beiden VORs in einer Karte ein. Wo kann sich das Flugzeug befinden?
- Wie könnte eine rechnerische Lösung für die Aufgabe aussehen? (zum Beispiel Geradenschnitt, Sinussatz)
- VORs orientieren sich am magnetischen Nordpol und nicht am geografischen, sie geben also so genannte missweisende Werte an. Um die Missweisung auszugleichen, muss die jeweilige „Ortsmissweisung“ bekannt sein. In Bremen beträgt sie im September 2013 etwa 1° 45’’. Das heißt, die Magnetnadel weicht um diesen Wert nach Osten ab. Wo befindet sich das Flugzeug, wenn die Missweisung herausgerechnet wird?
Rückblick: So navigierten die großen Seefahrer
Wo bin ich und wie komme ich an mein Ziel? Die Frage mag je nach Lebenslage philosophisch oder karriereorientiert anmuten, bringt aber vor allem die drei Grundaufgaben der Navigation auf den Punkt: die Bestimmung des eigenen Standortes, die Festlegung eines Weges und schließlich das tatsächliche Zurücklegen der Strecke. Während wir heute über diese Fragen kaum noch nachdenken müssen, stellten sie für die historischen Seefahrer eine große Herausforderung dar. Ein Blick zurück in die Geschichte der Seefahrt hilft dabei, die grundlegenden Konzepte der Längen- und Breitengrade besser zu verstehen – und vielleicht den eigenen Standpunkt auch ohne elektronische Hilfsmittel zu bestimmen.
Kolumbus verliert die Orientierung
Auf dem Weg nach Amerika und auf der Suche nach Indien notiert Christoph Kolumbus am 17. September 1492 in seinem Bordbuch: „Die Kapitäne stellten die Lage fest und merkten, dass die Kompasse wiederum um einen guten Such deklinierten; die Matrosen zeigten sich furchtsam und bekümmert, sagten aber nicht warum. Ich bemerkte es und trug den Kapitänen auf, bei Tagesanbruch aufs Neue den Standort zu bestimmen und die Nadeln mit dem Nordpunkt genau zu kontrollieren. Hierbei stellten sie fest, dass die Nadeln doch richtig waren. Dies rührte nicht daher, dass die Nadeln sich bewegten, wohl aber der Polarstern.“
Bereits vier Tage zuvor hatten die Kapitäne der drei Entdeckerschiffe festgestellt, dass die Nadeln ihrer einfachen Magnetkompasse nicht mehr in die Richtung des Polarsterns zeigten. Was die Seeleute nicht wussten: Das Magnetfeld der Erde, nach dem sich die Kompassnadeln ausrichteten, zeigt nur ungenau die Nordrichtung an und die Größe dieser Missweisung variiert je nach Standpunkt. Aus heutiger Sicht gleicht Kolumbus’ waghalsiges Abenteuer einem Blindflug durch eine weitgehend unbekannte Welt.
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Breitengrade: Immer dem Polarstern nach
Immerhin die Bestimmung des Breitengrads war zu Kolumbus’ Zeiten schon sehr exakt möglich. Auf der Nordhalbkugel bot sich eine Orientierung am Polarstern an. Mit so genannten Quadranten, Astrolabien oder einem Jakobsstab – der heute bekanntere Sextant wurde erst im 18. Jahrhundert entwickelt – maßen sie den Winkel zwischen Polarstern und Horizont. Dieser Höhenwinkel entspricht in etwa dem Breitengrad. Die Idee hinter dieser Art der Messung: Am Nordpol steht der Polarstern direkt über dem Betrachter, der Winkel zum Horizont beträgt also 90°. Je weiter der Betrachter zum Äquator bewegt, desto niedriger steht der Polarstern über dem Horizont.
Das Problem mit der Bestimmung der geografischen Breite anhand des Polarsterns: Nur in wolkenlosen Nächten ist der Stern zu erkennen. Alternativ lässt sich tagsüber der Breitengrad bestimmen, wenn zur Mittagszeit der Höhenwinkel der Sonne gemessen wird. Da sich aufgrund der Neigung der Erdachse der Mittags-Sonnenstand jeden Tag verändert, nutzten die Seefahrer Tabellen, die den Sonnenstand für verschiedene Tage und Breitengrade angaben.
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Unterrichtsanregung
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Gruppenarbeit: Finden Sie mit Ihren Schülern nach der Polarstern-Methode heraus, auf welchem Breitengrad sie sich befinden – entweder in den Wintermonaten, wenn es bei Schulbeginn noch dunkel ist oder als Hausaufgabe.
Der Äquator liegt bei 0°, der Nordpol bei 90°. Alternativ können Sie auch
den Sonnenstand messen, vorzugsweise zur Tag-und-Nachtgleiche oder
Sonnenwende. Zur Messung des ungefähren Höhenwinkels
können ein
selbstgebauter Quadrant oder Jakobsstab helfen.
Bauanleitungen für beide finden Sie hier.
Schnittzeichnungen der Erde mit Zirkel und Geodreieck veranschaulichen die Lage der Winkel und Scheitelwinkel in rechtwinkligen Dreiecken.
- Wie groß sind die Abweichungen zwischen den Ergebnissen der Schüler?
- Vorausgesetzt, dass die Entfernung zwischen dem Nordpol und dem Äquator ungefähr 10.000 km beträgt, wie groß sind dann die Abstände zwischen den gemessenen Breitengraden (unter der Annahme, dass sich alle Punkte auf demselben Längengrad befinden)?
- Zur Tag-und-Nachtgleiche (Äquinoktikum) um den 22. März und den 22. September steht die Sonne mittags genau über dem Äquator. Auf welchem Breitengrad befindet sich ein Betrachter, für den die Sonne im Süden liegt und einen Höhenwinkel von 40 Grad aufweist?
- Zur Sommersonnenwende (je nach Jahr am 21. oder 22. Juni) erreicht die Sonne auf der Nordhalbkugel mittags ihren höchsten Punkt und fällt in einem Winkel von 23,5° zum Äquator auf die Erde – entsprechend der Neigung der Erdachse. Wo befindet sich an diesem Tag ein Betrachter, der die Sonne in einem Winkel von 80 Grad auf die Erde fallen sieht?
Längengrade und das historische Längenproblem
Ungleich schwerer als die Bestimmung des Breitengrads fiel den Seefahrern die Bestimmung des Längengrads. Aufgrund der Erdrotation entlang der Nord-Süd-Achse gibt es keinen festgelegten Nullpunkt, keine Orientierung an Himmelskörpern ist möglich. Wer aber die Ortszeit am Nullmeridian kennt, kann anhand der Zeitdifferenz zwischen Schiff und Nullmeridian berechnen, wie viele Längengrade zwischen beiden liegen. Das Problem der Seefahrt: Es gab mehrere Jahrhunderte lang keine Uhren, die an Bord der Schiffe trotz Sturm und Seegang die Zeit zuverlässig anzeigten. 1714 hatte deshalb das englische Parlament einen Preis für die Entwicklung einer seetauglichen, präzisen Uhr ausgelobt. Verschiedene Uhrmacher konkurrierten um das Preisgeld von 20.000 Pfund, erst mehrere Jahrzehnte später wurde es an verschiedene Gewinner ausgezahlt. Den Löwenanteil erhielt der Uhrmacher John Harrison, nachdem er 1759 die Taschenuhr „H4“ vorgestellt hatte, deren Genauigkeit 1775 von Thomas Cook auf einer langen Seereise bestätigt wurde.
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Unterrichtsanregung
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An Bord eines Schiffes wird der höchste Sonnenstand gemessen – es ist also 12 Uhr mittags. Die Uhr, die die Zeit am Nullmeridian anzeigt, steht auf 15 Uhr. Wie viele Längengrade liegen zwischen dem Schiff und dem Nullmeridian?
Voraussetzungen: Die Erde ist in 360 Längengrade eingeteilt, die am
Nullmeridian beginnen und jeweils in westlicher und östlicher Richtung
fortlaufend bis 180° gezählt werden. Eine komplette Umrundung der Erde
entspricht 24 Stunden.
Weitere Rechenanregungen zum Thema Längengrade:
- Der Erdäquator hat einen Umfang von 40.075 km. Wie viele Kilometer hat ein Schiff, das genau auf dem Äquator reist, zurückgelegt, wenn die Zeitverschiebung zum Heimathafen fünf Stunden beträgt?
- Der westlichste Punkt der Zeitzone, in der Deutschland liegt, befindet sich in der spanischen Region Galizien bei 9° 18’ westlicher Länge, der östlichste Punkt liegt in Nordnorwegen bei 31° 09’ Ost. Wie viele Längengrade liegen zwischen diesen beiden Punkten und wie groß ist die tatsächliche Zeitdifferenz zwischen beiden Orten, wenn man sich nur nach dem Stand der Sonne richtet?
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