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Mathematik und Design: die schönste Seite des Rechnens

Schnittige Autos, außergewöhnliche Gebäude, Möbel mit Hinguck-Effekt: Designer gelten als kreative Köpfe, die sich vor allem der Ästhetik verschrieben haben. Aber damit ihre Design-Entwürfe nicht nur schick, sondern auch nützlich sind, fließen jede Menge Berechnungen in die Werke ein. Im Mathematikunterricht lohnt sich ein Ausflug in die Designwelt gleich doppelt: weil der Alltagsbezug groß ist und um künstlerisch interessierte Schülerinnen und Schüler ins Boot zu holen.



Origamics: Geometrie zum Falten

Gerade die Geometrie bietet viele Anlässe, um über Design nachzudenken. Und umgekehrt können geometrische Inhalte, die auch Produkte „fürs Auge“ hervorbringen, ein tieferes Verständnis für mathematische Zusammenhänge erleichtern. Zu den beliebtesten geometrischen Designerstücken aus Kinderhand gehören Origami-Basteleien. Auch in der Sekundarstufe lädt die japanische Kunst des Papierfaltens zum Nachdenken über Mathematik ein. Und vor allem bringt sie ein haptisches Erlebnis mit, gewissermaßen Mathematik zum Anfassen. Die Kombination aus Origami und Mathematik hat sogar einen eigenen Namen: Origamics.



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Unterrichtsanregung

Winkeldreiteilung mit Origami

Dass man mit Origami auch mathematische Kernprobleme lösen kann, bewies vor einigen Jahren der japanische Biologe Haga Kazuo, einer der Begründer des Origamics-Trends. Er nahm sich dafür nicht weniger als eins der drei klassischen Probleme der antiken Mathematik vor: die Winkeldreiteilung. Was sich bewiesenermaßen mit Lineal und Zirkel nicht konstruieren lässt, ist ihm per Papierfaltung gelungen. Die Methode ist heute auch als Satz von Haga bekannt. Sie regt auch an zu einer Knobelaufgabe für die Schülerinnen und Schüler: Was leistet die Faltkunst, das Lineal und Zirkel nicht schaffen?

Zur Anleitung

Escher-Parkettierungen selbst entwerfen

Zu den Künstlern, in deren Werken viel Mathematik steckt, gehört definitiv M.C. Escher (1898-1972). Der niederländische Grafiker ist heute vor allem für seine Darstellungen unmöglicher Figuren bekannt, darunter zum Beispiel das Penrose-Dreieck. Im Mathematikunterricht sind vor allem die „Escher-Parkettierungen“ nützlich: Sie regen die Kreativität der Schülerinnen und Schüler an und bringen zugleich Einsichten zum Thema „Kongruenzabbildungen“. Die Grundidee eines Escher-Parketts: Jeder Parkettstein ist eine kongruente Abbildung des anderen, die Steine fügen sich lückenlos ineinander. Gelingt es den Schülerinnen und Schülern, nur durch Drehung, Spiegelung oder Verschiebung einer Form ein lückenloses Parkett zu entwerfen? Schöne Vorschläge für die Einbettung von Escher-Parkettierungen in den Unterricht bietet zum Beispiel die Universität Bayreuth im Rahmen des Modellversuchs Sinus-Transfer.


Gaudí: das Runde ersetzt das Eckige

Selbst Menschen, die sich nicht für Architektur interessieren, ist vermutlich der katalanische Architekt Antoni Gaudí (1852-1926) ein Begriff. Das bekannteste Gebäude des genial-extravaganten Baukünstlers ist die bis heute unvollendete Basilika Sagrada Familia in Barcelona. Zu den Markenzeichen Gaudís gehören unter anderem Rundungen, wo andere Gebäude auf gerade Linien setzen. So finden sich zum Beispiel auf den Kopf gestellte Kettenlinien in zahlreichen Entwürfen. Als Funktion lässt sich der Verlauf einer zwischen zwei Punkten aufgehängten Kette als Cosinus hyperbolicus (cosh) beschreiben. Die einfache Konstruktion einer Kettenlinie – nur ein Seil und zwei Halterungen sind nötig – lädt zum experimentellen Nachbau und allerlei mathematischen Überlegungen in der Sekundarstufe 2. Wer noch tiefer einsteigen möchte, kann sich mit der Klasse selbst an einer Herleitung der Funktion versuchen.

Mathematik gut verpackt

Wieso sind Verpackungen häufiger eckig als rund? Und worauf kommt es beim Verpacken sonst noch an? Die Vielfalt an Kartons, Dosen und Schachteln, denen die Schülerinnen und Schüler im Alltag begegnen, lädt ein zu einer motivierenden Einheit „Angewandte Geometrie“. Können die Schülerinnen und Schüler in Gruppenarbeit zum Beispiel je eine kegelförmige, eine zylindrische und eine quaderförmige Verpackung gestalten, die genau einen Liter fasst? Und wie sehen die Entwürfe der Lernenden aus, um möglichst originell ein Kilogramm Reis zu verpacken? Selbstredend zählt dabei nicht nur das Endprodukt, sondern auch die präzise Zeichnung und Berechnung des Modells. Viele weitere Unterrichtsideen bietet außerdem dieses Material des Cornelsen-Verlags an.


Gegen den Strom lernen

Beim Radfahren hat vermutlicher jeder schon praktische Erfahrungen mit Luftwiderstand gemacht: Aufgerichtet kommen Radfahrer schlechter voran als vorgebeugt, und bei Gegenwind müssen wir stärker in die Pedale treten. Wie viel stärker wir treten müssen, lässt sich berechnen. Und auch bei Autos spielt natürlich die Aerodynamik eine wichtige Rolle. Umfassendes MINT-Unterrichtsmaterial zum Thema Design und Aerodynamik hat die Daimler AG zusammen mit dem Klett-Verlag für die Klassen 8 bis 10 am Gymnasium zusammengestellt.

Auch sonst stecken im Autodesign viele MINT-Bezüge. Physikalisch seien Autos sogar komplexer als Flugzeuge, erzählt Lutz Fügener im Interview mit Lehrerspezial. Fügener ist Professor im Studiengang „Transportation Design“ der Hochschule Pforzheim. Zum Beispiel im Design von Scheinwerfern muss jeder Gestaltungsentwurf zahlreichen Berechnung standhalten. Und solide Kenntnisse der Kurvendiskussion sind nötig, um Rundungen am Auto so zu gestalten, dass am Ende auch die Lichtreflektionen auf dem Lack gut aussehen.

Interview:



Warum Autodesigner Mathematik brauchen

Die Hochschule Pforzheim ist eine der wenigen in Deutschland, die den Studiengang Transportation Design anbieten. Im Interview mit Lehrerspezial erzählt Prof. Lutz Fügener, wieso angehende Autodesigner Mathematikkenntnisse mitbringen sollten und welche Berufsaussichten sie nach dem Studium haben.

Redaktion Lehrerspezial: Ästhetik versus Technik – wie viel
von beiden steckt im Studium „Transportation Design“?
Fügener: Ästhetik versus Technik, da bin ich nicht Ihrer Meinung. Im Gegenteil: Wenn beides symbiotisch miteinander umgeht, dann entstehen die besten Produkte. Ich arbeite sehr intensiv daran, Techniker und Designer zusammenzubringen, so dass sie Schulter an Schulter arbeiten anstatt gegeneinander. Wenn im Entwicklungsteam die Schnittstelle zwischen den Ingenieuren und der Gestaltung funktioniert und die einen anfangen, die Probleme der anderen mitzulösen, dann entstehen hocheffiziente Prozesse.
Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Das ist gut erklärbar am Beispiel „Beleuchtung“. Die Beleuchtung ist sehr designrelevant, weil hier die Autohersteller mit vergleichsweise wenig Aufwand etwas Innovatives zeigen können. Es gibt den sogenannten Facelift: Wenn ein Auto noch ein paar Jahre im Markt gehalten werden soll, wird zum Beispiel die Beleuchtung neu gestaltet. Jedes Beleuchtungselement – also etwa Abblend-, Nebel- oder Standlicht – hat Abstrahlwinkel in verschiedene Richtungen, außerdem ist die Position der Elemente vorgeschrieben. In der Praxis ist das ein riesiges Hin- und Herschieben von Einzelteilen, bis sich nichts überdeckt und alles den Normen entspricht. Die Scheinwerferentwicklung bei einem hochwertigen Auto dauert über ein Jahr und es steckt sehr viel Geld darin. Aber die Scheinwerfer sind eben die ‚Augen‘ des Autos, die können sehr viel technische Innovation darstellen. Man kann allerdings nur etwas Neues zustande bringen, wenn die Techniker mitziehen und das umsetzen können.

Zum Beispiel kann man heute mit organischen LEDs, den OLEDs, Flächen gleichmäßig zum Leuchten bringen. Da kämpft man zusammen mit den Technikern, es geht um Fragen wie: Ist das darstellbar? Geht das auch noch bei minus 20 Grad? Was kostet das? Wenn ein Rücklicht zum Beispiel pro Fahrzeug zehn Euro mehr kostet, fällt es durch.
Wo im Autodesign-Prozess sind Mathematikkenntnisse nötig?
Zum einen natürlich in der konzeptionellen Phase. Oft sind die Designer die Ideengeber. Wenn sie die Produktmanager im Unternehmen mit einer Konzeption überzeugen möchten, dann müssen sie allerdings erst mal einige ‚Killerkriterien‘ ausschließen. Nehmen Sie zum Beispiel an, Sie haben eine bestimmte Radgröße. Dann müssen Sie berechnen können, wie groß der Felgenumfang und wie groß die Reifenflanke im Vergleich zur Reifenbreite sein müssen, damit es komfortabel oder aber eher rennsportmäßig ist. Wie ist der Gesamtumfang, wie viel Federweg habe ich dann noch? Das sind ganz alltägliche Rechenkenntnisse. Wenn man das nicht beherrscht, sondern vor allem künstlerisch arbeiten möchte, ist man auf Hilfe angewiesen. Es hängt von den Unternehmensstrukturen ab, ob das so möglich ist. Je kleiner das Designstudio, desto generalistischer müssen die Designer arbeiten. In einem größeren Studio ist der Grad der Spezialisierung meist höher.

Ich spreche mit meinen Studierenden außerdem immer über Kurvendiskussion, über Differenzialrechnung und Integralrechnung. Kurven sind für uns extrem wichtig, wir zeichnen und bauen ja Autos in Kurven. Aus dem Yachtbau kommt der Begriff des Strakens, da legt man Punkte fest und legt eine flexible Leiste darüber. Das ergibt Kurven zweiten Grades. Solche niedriggradigen Kurven sind für Designer extrem wichtig, weil sie eine hohe Ästhetik besitzen.

Ich unterrichte Studierende auch darin, ihre Entwürfe in dreidimensionale Computermodelle umzusetzen. Da sprechen wir ganz viel über Mathematik, weil das Probleme sind, die man mathematisch erklären und überprüfen kann. Auch wenn die Kunden das nicht mathematisch in Worte fassen können, ist das Ergebnis auch für sie sichtbar. Das betrifft zum einen die Linienverläufe, wenn ich eine Kurve haben möchte, die durch drei Punkte verläuft. Zum anderen haben wir häufig zwei Flächen, die wir mit einer Rundung verbinden möchten. Dann wenden wir Kurven fünften Grades an. Wenn wir da nicht so hochgradige Kurven verwenden würden, dann sähe das der Käufer: Lichtreflexe, die über die glänzend lackierten Flächen laufen, würden abknicken.
Mathematik und Ästhetik stehen also in einem sehr
direkten Bezug zueinander?
Mathematik erklärt viel über Ästhetik. Wenn jemand denkt: „Ich möchte mal etwas Künstlerisches machen, deshalb muss ich in Mathematik nicht aufpassen“, dann ist das eine Fehleinschätzung. Das ist ganz wichtig für den großen Teil der Ästhetik, der nicht aus dem kulturellen Hintergrund kommt, sondern auf der ganzen Welt gilt. Wenn Sie zum Beispiel sehen, wie sich Wasser in Linien um einen Stein bewegt – das erzeugt eine ganz massive Ästhetik. Oder wie sich Haut über Muskeln spannt: Das ist auf der ganzen Welt gleich, das ist für uns eine ästhetische Grundlage. Wenn man das beherrscht und auch erklären und nutzen kann, dann ist man im Vorteil gegenüber Designern, die das nicht können.
Wer an schnelle Autos denkt, hat oft Stromlinien im Kopf.
Welche Rolle spielen solche Berechnungen im Studium?
Aerodynamik ist bei uns ein eigenes Ausbildungsfach, dabei kommt Mathematik vor allem in Verbindung mit Physik vor. Aerodynamik basiert auf Druckverhältnissen, das sollte man intuitiv anwenden können. Dafür muss man es sich mathematisch erarbeiten. Grafisch kann man das gut durch Linienführung erklären, und diese Linien wiederum erklären sich dann mathematisch.
Was sollten Ihre Studierenden idealerweise mitbringen?
Wenn ich mir eine Verbesserung wünschen könnte, dann wäre das ein solides wissenschaftliches Grundwissen: Mathematik, Physik, Chemie und so weiter. Wenn Sie in den Beruf einsteigen – das Studium ist ja der erste Schritt zur Spezialisierung –, dann müssen Sie sich sehr disziplinieren, wenn Sie sich in diesen Fächern noch einmal kundig machen möchten. Niemand gibt einem irgendwann noch einmal Nachhilfe in Mathematik oder Physik. Was Sie nicht in der Schule gelernt haben, das haben Sie dann einfach nicht verfügbar. Im Design werden auch keine Vorkurse für Mathematik angeboten, unsere Vorkurse sind eher zeichnerisch-darstellerisch ausgerichtet.
Wie geht es für Ihre Absolventinnen und Absolventen nach
dem Studium weiter?
Ungefähr zwei Drittel finden einen Job in den großen Designstudios der Automobil- und Fahrzeugindustrie. Da gibt es viel mehr Stellen als in allen anderen Fahrzeugsparten, also zum Beispiel im Flugzeugdesign. Die großen Autohersteller haben eigene große Studios mit 150 bis 200 Designern sowie weitere Satellitenstudios an anderen Standorten. Volkswagen zum Beispiel hat solche Satellitenstudios in China und Kalifornien. Für hauptberuflich angestellte Automobildesigner existieren zurzeit auf der Welt ungefähr 3.000 Arbeitsplätze. Die Zahl steigt, weil in Ostasien viele neue Player auf den Markt gekommen sind. Sehr gute Absolventen haben es nicht schwer, einen Job zu finden. Manche haben schon beim Abschluss mehrere Jobangebote.

Wenn Sie bei uns ausgebildet wurden, können Sie aber auch in anderen Bereichen des Produktdesigns arbeiten. Es gibt zum Beispiel ein großes Interesse seitens der großen Sportschuhhersteller. Das sind auch sehr hochentwickelte Produkte mit entsprechend langen Entwicklungszeiten, ähnlich wie Fahrzeuge.



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