Themenspezial

Mathematik und Sport haben auf den ersten Blick scheinbar nicht viele Gemeinsamkeiten. Schaut man genauer hin, zeigt sich: Geometrie oder Statistik spiegeln sich in Sportgeräten, Spielregeln und Sportrekorde wider.

Sport und insbesondere Sportrekorde begeistern viele - wie beispielsweise bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin. Selten aber werden Rekorde in ihrer Gesamtheit mathematisch betrachtet. Entwickeln sie sich gleichmäßig, sind neue Bestmarken vielleicht voraussagbar, gibt es Phasen, in denen die Rekorde besonders stark oder oft fallen? Und sind die Entwicklungen in den Sportarten gleich? Kann man sie mit Hilfe von Formeln beschreiben? Jetzt ist man spätestens bei der Mathematik angekommen.
Weitsprung Und auch andere Aspekte im Sport stehen der Mathematik nahe: beispielsweise Spielregeln oder die Form von Sportgeräten. Abgesehen von einigen Sportarten, bei denen auch nach dem Eindruck, den der Sportler mit seiner Darbietung hinterlässt, benotet wird - z. B. Turnen oder Eiskunstlaufen -, wird bei einem Sportwettbewerb stets gemessen. Also Zeiten genommen (Laufen), Längen vermessen (Weitsprung, Wurfwettbewerbe) oder gezählt (Treffer beim Schießen, Tore beim Fußball). Dann ist es leicht, die (Mess-)Ergebnisse miteinander zu vergleichen und Entwicklungen zu untersuchen: Messwerte sind ein klassisches Thema im Bereich Statistik.

Auf den Winkel kommt es an: Geometrie im Sport

Auch, wenn es einem nicht sofort ins Auge fällt: Sportgeräte können mathematisch betrachtet werden. So ist etwa der Fußball nicht perfekt rund, sondern besteht aus zwölf Fünf- und zwanzig Sechsecken, die ein sogenanntes abgestumpftes Ikosaeder bilden. Wer beim Fußball also von "der Kugel" spricht, liegt falsch. Darüber hinaus zeigen sich auch beim Torschuss geometrische Aspekte: Will der Fußballspieler die optimale Schussposition erreichen, sollte er unter einem möglichst großen Winkel auf das Tor schießen - zwischen der Torauslinie (Sichtwinkel ist gleich null) und dem Punkt, der vom Tor am weitesten entfernt ist (Sichtwinkel geht gegen null).



Gaußsche Glockenkurve

Sport(rekorde) einmal statistisch betrachtet

Bei Messergebnissen wird häufig von einer Normalverteilung ausgegangen und angenommen, dass die Ergebnisse voneinander unabhängig sind. So auch bei Sportrekorden. Anschaulich wird eine solche Verteilung durch ihre Dichtefunktion beschrieben. Sie sieht wie eine breit geöffnete Glocke aus; man nennt sie auch Gaußsche-Glockenkurve. In der Mitte finden sich symmetrisch die allermeisten Werte. Zu den Rändern fällt die Kurve zunächst schnell und dann recht langsam ab. Extreme Werte sind selten oder unwahrscheinlich. So laufen beispielsweise die Profis eines 100-m-Laufes alle Zeiten, die sich nur sehr geringfügig voneinander unterscheiden. Hier sind Zehntelsekunden bereits riesige Differenzen. Ein normal sportlicher Mensch wäre mit einer Sekunde, die er mehr bräuchte, im Vergleich zu den besten Teilnehmern weit außerhalb der Spannbreite.

800 Meter Rekord

Echte und scheinbare Rekorde

"Es ist nicht immer leicht zu ermitteln, was die Gründe für Rekordsteigerungen sind", meint der Dortmunder Physik-Professor Dieter Suter. Er hat zusammen mit Daniel Gembris Statistiken zu deutschen sowie Weltrekorden in unterschiedlichen Sportarten betrachtet und diese auf die Entwicklung der Rekorde hin untersucht. Für viele Sportarten ergaben ihre Ergebnisse eine kontinuierliche Steigerung der körperlichen Leistungen. Es wurde also tatsächlich schneller gelaufen oder weiter gesprungen. Ebenso ließ sich statistisch zeigen, dass auch der Zufall immer wieder eine Rolle spielt. Nicht zuletzt deshalb sind Sportwettbewerbe Gegenstand von Wetten. Welches Wettbüro würde schon eine Wette abschließen, wenn beinahe exakte Vorhersagen möglich wären?
"Allerdings können sich Rekorde auch verbessern, ohne dass sich die Leistung der Athleten verbessert", erklärt Professor Suter. "Ein Grund findet sich in den Messergebnissen." Die deutliche Rekordsteigerung beim Laufen liegt unter anderem daran, dass exakter gemessen werden konnte. Beträgt irgendwann die Zeitdifferenz der besten Teilnehmer eine Hundertstelsekunde, so wird man versuchen müssen, bis auf Tausendstelsekunden zu messen. Es kommt also auf den Maßstab an. Weiterhin haben sich in vielen Disziplinen die Teilnehmerzahlen stark erhöht. Mathematisch gleichwertig: Die betrachteten Zeitspannen sind kleiner geworden. Dass sich nationale Rekorde anders entwickeln als internationale, kann schlicht daran liegen, dass die Besten ihres Fachs nur an besonders wichtigen Wettbewerben teilnehmen. Folglich werden eher Rekorde bei internationalen Wettbewerben erzielt. Auch "äußere" Faktoren können ein Grund sein, warum Rekorde "plötzlich" - also außerhalb der statistischen Erwartung - auftreten: Besonders viele Wettbewerbe in einem Jahr, extreme Wetterbedingungen (bei Kälte läuft es sich nicht so gut) oder taktisches Verhalten der Sportler. "Und besonders markante Rekordsteigerungen, die statistisch nicht zu erwarten wären, können auch ein Hinweis auf Doping sein", fügt Dieter Suter noch hinzu.

Weltrekordentwicklung 100m Lauf Aber man muss aufpassen mit den mathematischen Modellen. So hat man beispielsweise festgestellt, dass sich die Weltrekorde in den Laufwettbewerben bei den Frauen schneller verbessert haben als bei den Männern. Für beide Gruppen konnte man in etwa eine lineare Entwicklung ermitteln. Man erhielt also, wenn man die gelaufene Zeit in einem Koordinatensystem gegen die Jahre auftrug, annähernd fallende Geraden. Da die Entwicklungen nicht gleichmäßig verliefen, war die (negative) Steigung der Geraden bei den Frauen stärker als bei den Männern. Würde diese Entwicklung auch in Zukunft so verlaufen, so müssten sich die beiden Geraden schneiden. Das heißt, ab dann haben die Frauen die Männer eingeholt und laufen immer schneller. Irgendwann würde die Kurve allerdings die Zeitachse schneiden. Spätestens hier wäre sie nicht mehr realistisch. Denn die benötigte Zeit ginge gegen null - und menschliche körperliche Grenzen sind hier nicht berücksichtigt.

Ob Rekordsteigerungen beim 100-m-Lauf oder die optimale Position beim Torschuss - mit anschaulichen Beispielen aus dem Sport kann Mathematikunterricht spannend gestaltet werden. Schüler lernen so die verschiedenen Teilgebiete der Mathematik aus einem sportlichen "Blickwinkel" kennen.